Deutungshoheit

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Mit dem Ausdruck Deutungshoheit soll ein – wenn nicht gar das höchste – Privileg angesprochen werden, das einer Person oder einer Gruppe zufallen kann. Damit ist die Fähigkeit gemeint, den Deutungszusammenhang eines Diskurses selbst zu bestimmen, und deren spezifische Sichtweise dann auch allgemein akzeptiert wird. Unabhängig davon, wie beispielsweise Kritik zum Ausdruck gebracht wird, kann diese nach dem Gusto der deutungshoheitlichen Entität interpretiert werden. Die geäußerte Interpretation wird von allen akzeptiert (werden müssen). Ein wohl eindrückliches Beispiel liefert die Unfehlbarkeit des Papstes. Der Papst hat ja nicht unbedingt immer recht, weil er unfehlbar ist und stets das Richtige sagt, sondern ihm die Deutungshoheit obliegt –, weil er seine Position als Papst äußert, haben die Aussagen unter den Gläubigen ein einzigartiges Gewicht. Dies gilt mit Einschränkung auch für Staatsoberhäupter, Experten, kapitalschwere Philanthropen, möglicherweise anerkannte Intellektuelle usw. Manchmal basiert die Unantastbarkeit der sich äußernden Instanz auf Fachwissen oder einfach auf einem exklusiven Zugang zu einer Thematik. Häufiger allerdings führen Strukturen zu lokalen Deutungshoheiten, z.B. wenn der Chef schlussendlich (entgegen aller Kritik) sagt, wo es lang geht.

Eine ähnliche Situation dürfte sich zurzeit in der C-Krise abzeichnen, in der die Bundesregierung wahrscheinlich auf mehreren thematischen Ebenen Deutungshoheit für sich in Anspruch nimmt und gleichzeitig nicht von Experten, verschiedensten Sachverhalten oder Unsicherheiten, früheren Gepflogenheiten, dem Grundgesetz, Oppositionen oder gesellschaftlichen Äußerungen (wie Demonstrationen) usw. angefochten werden kann. Dass eine derart umfassende Hoheit zutiefst undemokratisch ist, müsste eigentlich jedem bewussten Bewohner eines demokratischen Rechtsstaates auffallen.

Dazu eine Frage zum Nachdenken: Ergibt sich nicht eine Deutungshoheit einiger weniger Privilegierter, weil im Zuge von Zentralisation allen anderen Instanzen zuvor der Boden für Selbstinterpretation genommen worden ist?

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